Die Geschichte Otterstadts

1823

Jüdische Gemeinde in Otterstadt

Seite aus dem Otterstadter Gerichtsbuch (Vollgericht vom 13. Dezember 1684) mit einer der beiden ersten Erwähnungen von Juden in Otterstadt (LA SP, Best. F 5 Nr. 45 a fol. 293r)

Erstmals werden Juden in Otterstadt in zwei Dokumenten aus den 1680er Jahren erwähnt. In Vorakten zum Reichskammergerichtsprozess sind am 1. Juli 1680 ausgestellte Schuldscheine für die Juden Gerstel und Abraham von Otterstadt erwähnt. Laut Protokoll des Vollgerichts vom 13. Dezember 1684 beklagte der damalige Schultheiß Volmar Proll, dass „Hanß Jacob Schotthover wider sein Verbott mit den Juden in der Charten gespiehlet“.

Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl jüdischer Einwohner langsam zu. 1747 und 1773 lebten jeweils drei jüdische Familien am Ort (1773 insgesamt 17 Personen). Die jüdischen Familien lebten vom Handel mit Landprodukten und Vieh und betrieben neben der Viehhaltung auch etwas Landwirtschaft. Dem St. Guido-Stift, das in Otterstadt die Grundherrschaft ausübte, mussten sie ein jährliches „Judenschutzgeld“ zahlen.

Schuldschein über 15 Gulden für die Juden Gerstel und Abraham zu Otterstadt, ausgestellt am 1. Juli 1680 (LA SP, Best. E 6 Nr. 2132 Q 16 fol. 145v - 146r)

In den Befreiungskriegen litt das weitgehend von Juden getragene Geschäftsleben sehr. Seit 1797 gehörte Otterstadt wie das gesamte linksrheinische Gebiet zu Frankreich (Departement Donnersberg). Durch die im Zuge der Französischen Revolution 1791 erlassene Emanzipationserklärung war den Juden Freizügigkeit und Gewerbefreiheit gewährt worden, diese wurden jedoch durch das „Décret Infâme“ Napoleons vom 17. März 1808 weitgehend wieder aufgehoben. Am Russlandfeldzug der französischen Armee im Winter 1812/13 mit anfangs rund 600.000 Teilnehmern beteiligten sich anfangs auch die Brüder Herz und Hillel Weil aus Otterstadt, gelangten letztlich aber nur bis Elbing (Pommern) und kehrten schließlich unversehrt in die Heimat zurück. Aus den erhalten gebliebenen Briefen von Herz Weil und seiner Frau gewinnt man ein anschauliches Bild von ihren Erlebnissen auf dem Feldzug und den Zeitumständen in Otterstadt.

Im 19. Jahrhundert erhöhte sich der Anteil der jüdischen Einwohner an der gesamten Bevölkerung zunächst deutlich:
1801: 26 (6,43 % der Einwohnerschaft),
1809: 42 (7,9 %),
1821: 42 (7,9 %),
1825: 46 (5,6 %),
1848: 57 (in 16 Familien, 6,2 %).
In den Jahren 1850 (79), 1857 (77) und 1861 (74) erreichte die Zahl ihren Höchststand, um dann durch Auswanderung nach Nordamerika und Umsiedlung in größere Städte über 42 (1875) bis 1900 auf 22 abzusinken.

Der ehemalige Synagogenraum war in der Untergasse 44 untergebracht, heute Mannheimer Straße 53 (Aufnahme Uwe Stanzl)

1856 wurde eine selbständige Kultusgemeinde, die auch die Glaubensgenossen aus Waldsee aufnahm, offiziell gegründet; sie löste sich jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts wieder auf. Die noch in Otterstadt und Waldsee verbliebenen Juden gehörten danach der israelitischen Gemeinde von Neustadt an der Haardt, etwas später der von Speyer an.

Eine jüdische Schule (Religionsschule) mit Schulmeister ist erstmals 1768 nachgewiesen, eine Synagoge 1773. Der Synagogenraum war im Rückraum eines Wohnhauses auf dem Gelände des heutigen Anwesens Mannheimer Straße 53 (ehem. Untergasse 44) untergebracht; hier befand sich auch die Wohnung des Religionslehrers und Vorbeters.

1845 erfolgte ein Neubau, dessen Frauenabteilung durch eine Holzwand mit Glasfenstern abgetrennt war. Um 1910 wurde die Otterstadter Synagoge aufgegeben, da das vorgeschriebene Quorum von zehn religiös mündigen jüdischen Einwohnern nicht mehr erreicht wurde. 1926 wurde sie an die Eheleute Joseph Katz verkauft und schon im folgenden Jahr wegen Baufälligkeit abgebrochen.

Das „Todtenhäuschen“ am Westrand des jüdischen Friedhofes (Aufnahme Herbert Katz)

1823 wurde ein jüdischer Friedhof als Begräbnisplatz für die Toten aus Otterstadt, Schifferstadt, Neuhofen und Rheingönheim, seit 1869 auch für die von Waldsee angelegt. Er liegt gegenüber dem christlichen Friedhof am Schlittweg und enthält über 200 Grabsteine mit verschiedenen Stilelementen. In der ihn umgebenden Bruchsteinmauer befindet sich ein ziegelgedecktes Torhaus, eines der wenigen in der Pfalz erhaltenen „Todtenhäuschen“. 1840 und 1869 wurde der Friedhof erweitert. Durch die Errichtung eigener Judenfriedhöfe in Schifferstadt 1907 und in Neuhofen 1909 sowie durch Rückgang der jüdischen Bevölkerung sank die Zahl der Bestattungen stark ab; die letzte von ihnen erfolgte aber erst im Juli 1938 (Lenchen Freundlich aus Waldsee).

Skizze/Plänchen des Otterstadter „Badehäuschens“ (= Mikwe) von 1873 (Ausschnitt aus LA SP, Best. H 45 Nr. 406 fol. 107r)

Ein bescheidenes jüdisches Ritualbad (Mikwe) als Kellerbad im Ortskern ist erstmals in einem Schreiben des Otterstadter Juden Wolfgang Weil vom 19. März 1830 belegt. Zuletzt übernahm ein außerhalb des Dorfes stehendes Badehäuschen an der Stelle des heutigen Dammwachthauses dessen Funktion; da es baufällig geworden war und der jüdischen Gemeinde die Mittel zu Reparatur und Unterhalt fehlten, wurde es 1873 öffentlich versteigert und wohl bald danach abgerissen.

1922 wurde Abraham Weil, der 25 Jahre lang dem Otterstadter Gemeinderat angehört hatte, zum Ehrenbürger ernannt. Zu den bekanntesten aus Otterstadt stammenden Juden zählten die Gebrüder Emil, Hermann und Isidor Weil (1856-1936), die nach ihrer Auswanderung seit 1878 in Montgomery/Alabama einen der größten Baumwollkonzerne der USA („Weil Brothers Cotton“) gründeten und aufbauten, der bis 2010 bestand.

Im 20. Jahrhundert ging die Zahl der jüdischen Einwohner in Otterstadt weiter zurück (1905: 16; 1926: 7). 1933 lebten nur noch drei Juden in Otterstadt; von ihnen verstarb Max Liebmann am 30. April 1936 in Otterstadt; er war der letzte Otterstadter Jude, der auf dem hiesigen Friedhof bestattet wurde. Seine Schwester Sara Liebmann wurde spätestens 1936 in ein jüdisches Altersheim in Mannheim verbracht; von dort wurde sie 89-jährig (!) im August 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie im Oktober desselben Jahres starb. Letzter im Dorf verbliebener jüdischer Einwohner war der „Handelsmann“ Moritz Weil, der am 30. Juni 1938 nach Neustadt a. d. W. verzog, so dass zur Zeit der Reichspogromnacht (9./10. November 1938) bereits keine Juden mehr in Otterstadt lebten. Weil wurde wie alle badischen, pfälzischen und saarländischen Juden am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert; am 15. November 1942 starb er 79-jährig in Nexon.

Yad Vashem: Denkmal zur Erinnerung an die Deportierten (Quelle: Proesi, Wikipedia)

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung“ sind von den in Otterstadt geborenen und/oder längere Zeit vor Ort wohnhaften jüdischen Personen elf Opfer des Holocaust geworden (in Klammer Geburtsjahr):
Mina Grübel, geb. Wenk (1882),
Paul Hirsch (1904),
Johanna Kohlhöfer, geb. Wenk (1880),
Sara Liebmann (1853, s. o.),
Emilie Neuberger, geb. Weil (1861),
Elsa Schreiter, geb. Liebmann (1894),
Berta Weil (1866),
Emma Weil (1870),
Moritz Weil (1863),
Emil Wenk (1879)
Emma Wertheimer, geb. Weil (1870).
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Mehrzahl dieser Personen Otterstadt bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme verlassen hatte und von anderen Orten deportiert wurde.