Die Geschichte Otterstadts

1456

Wirtschaftsgeschichte im Mittelalter (mit Ausblick auf die Neuzeit)

In Geschichte und Gegenwart weist Otterstadt eine dörfliche Struktur auf und ist fast vollständig von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben – mit Ausnahme der von Altrheinarmen und Auwäldern bedeckten Gebiete in der Rheinniederung im Osten der Gemarkung.

Das St. Guidostift war ursprünglich nicht der einzige Grundherr in Otterstadt. Auch die Klöster Maulbronn und Eußerthal sowie das Heilig-Grab-Kloster in Speyer besaßen hier Güter, die aber bis zum 15. Jahrhundert durch Kauf und Tausch ebenfalls an das Stift übergingen, das eine Vergrößerung seines Besitzes in Otterstadt anstrebte.

Vor 1792 waren über 500 Hektar der Otterstadter Gemarkung – das entspricht über 90 % des Ackerlandes oder etwa zwei Dritteln der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche – in seinem Besitz; die Einwohner verfügten vergleichsweise nur über 34,5, die Gemeinde über 16 Hektar der Ackerfläche.  Die Hofgüter wurden vom Stift an die Einwohner in Erb- oder – im 18. Jahrhundert zunehmend – in Zeitpacht (als „ganze“ oder „halbe“ Güter) vergeben.

Bildquelle: Wikipedia
Der Hauptanteil der Otterstadter arbeitete im Mittelalter in der Landwirtschaft.

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts arbeiteten und lebten vier Fünftel der Bevölkerung Otterstadts in und von der Landwirtschaft. Nach dem Grundsteuer-Sektionsverzeichnis von 1802 nahmen das Ackerland von der gesamten Gemarkungsfläche von 1077 Hektar 555 Hektar (= 51,5 %), vor allem im „Oberfeld“ westlich und südwestlich des Dorfes, die Wiesen und Weideflächen (überwiegend in den Dauerweideflächen „Bannweide“, „Gänsdreck“ und „Herdlachweide“) 203,5 Hektar (= 19 %) ein; auf den Wald entfielen 269 Hektar (= 25 %). Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts herrschte (im Oberfeld ausschließlich) Getreidewirtschaft vor; angebaut wurde neben Roggen, Gerste und Hafer vor allem Dinkel oder Spelz als Hauptbrotfrucht, daneben das Einkorn (Grünkern).

Das Ackerland wurde in Dreifelder- (Wechsel von Winterfrucht, Sommerfrucht und Brachland) und Zweifelderwirtschaft (Wechsel von Winterfrucht und Brache) bebaut. Daneben wurden in dorfnahen „Gärten“ in der Niederung Gemüsesorten wie Erbsen, Bohnen, Linsen und Kohlsorten gezogen.  Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts drangen mit dem Tabak, dem Mais („Welschkorn“) und der Kartoffel neue, bisher unbekannte oder nicht angebaute Pflanzen vor, vor allem in die bisher der Sommerfrucht und der Brache vorbehaltenen Felder. Das Tabakzehnten-Register von 1781 weist bereits elf Tabakpflanzer und eine Anbaufläche von 160 ¾ Morgen (= ca. 41 Hektor) aus.

Es gehörte zu den Rechten der Bürger von Otterstadt, die Weide auf der „Allmende“ und den Gemeindegütern kostenlos zu nutzen. Jedes Jahr wurden im Beisein der ganzen Gemeinde die Hirten, und zwar für jede Tierart (Pferde, Rindvieh und Schweine) einer, angenommen. Sie durften im „Hirtenhaus“ wohnen und erhielten eine mit ihnen vereinbarte Entlohnung.

 

 

 

 

Quelle: Festschrift „1000 Jahre Otterstadt“
Flächenverteilung der Gemarkung Otterstadt im Jahr 2020

 

Die Infografik aus dem Jahr 2020 zeigt, dass der Anteil der in Otterstadt landwirtschaftlich genutzten Fläche im 21. Jahrhundert wesentlich geringer als zuvor ist. Während im Mittelalter 90% der Otterstadter Gemarkung Ackerland war, sind es heute gerade noch ca. 30%.

Seit der Industrialisierung Ende des 18. Jahrhunderts nimmt auch der Anteil der Bevölkerung, die in der Landwirtschaft tätig ist, stark ab. Die Mehrheit der Otterstadter*innen ist aktuell (2023), wie in ganz Deutschland, im Dienstleistungs-, Handwerks- und Industriebereich tätig.

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Die Karpfenträger beim Karpfenfest in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Die „Nachbarschaftshilfe“ der Schifferstadter, die den Otterstadtern Weiderechte in ihrer Gemarkung gewährten, wenn das Rheinhochwasser deren Vieh die Nahrungsgrundlage entzogen hatte, lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. In einer Hochwasserkatastrophe zu Beginn des 18. Jahrhunderts hat auch das seit 1939 unter diesem Namen begangene Otterstadter Karpfenfest seinen Ursprung.

Als das Vieh den Bauern wegen der überschwemmten Weiden zu verhungern drohte, fanden die verzweifelten Otterstadter Hilfe bei den Nachbarn aus Schifferstadt, die ihre – höher gelegenen und deshalb hochwasserfreien – Weideflächen zur Verfügung stellten und dafür nur einen symbolischen Betrag von einem Gulden verlangten.

Daraus entwickelte sich der erstmals aus dem Jahr 1733 überlieferte Brauch, dass die Einwohner von Otterstadt, damals noch weitgehend ein Fischerdorf, jedes Jahr den größten im Rhein gefangenen Karpfen an Schifferstadt übergaben.

Quelle: VHNO
Fischerei im Otterstadter Altrhein

Neben der Landwirtschaft prägte auch die Fischerei das Wirtschaftsleben des Dorfes im Alten Reich.  Der Fischreichtum des Rheines dürfte bereits bei der ersten Ansiedlung von Menschen im Otterstadter Raum eine Rolle gespielt haben.

Erstmals werden 1487 Salmen- und Goldgrund als Fischwasser erwähnt, ein von der Gemeinde ausgestellter Pachtvertrag regelte 1517 die Rechte der Gemeinde im Fischwasser am „Genßdreck“. Hinweise auf „Salmengründe“ mit Lachsvorkommen finden sich auch 1553 (in der Nähe der Ketscher Fähre) und im Flurplan von 1615.

Ab 1727 (bis 1929) wurden die Fischereirechte in Otterstadt von der Bauernfamilie Reiland wahrgenommen, die auch die Vermarktung ihrer Fänge übernahm.

Die Fischerkähne ankerten beim „Badheisel“ (heute Dammwachthaus), wo die Netze zum Trocknen an einem Stangengerüst aufgehängt wurden. Daneben fischten viel Einwohner des Dorfes, ob mit oder ohne Erlaubnis.

Einen ersten, unsicheren Hinweis auf das Vorhandensein einer Gastwirtschaft in Otterstadt gibt es bereits in einer Urkunde des Speyerer Bischofs Siegfried III. von Venningen (reg. 1456-1459) aus dem Jahr 1456, die „in villa Otterstadt circa domum coropi“ (übersetzt: im Dorf Otterstadt beim Haus des Schankwirts, „coropi“ wohl verballhornt für „caupo“) ausgestellt wurde. Genauer verfolgen lässt sich die hiesige Wirtshaustradition aber erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1840 gab es schon vier Gastwirtschaften in Otterstadt, mit der Ausdehnung des Dorfes nach Westen kamen weitere, vor allem in der heutigen Mannheimer Straße, hinzu; 1877 waren es bereits sieben für damals etwa 1400 Einwohner. Gelegentlich beherbergten sie (z. B. das Gasthaus „Zum Adler“, s. Tafel „Im Königreich Bayern II“) auch andere Einrichtungen und wurden damit für die infrastrukturelle Entwicklung des Dorfes wichtig. Folgende gastronomische Betriebe von einiger Bedeutung lassen sich sicher nachweisen (soweit zu ermitteln, ist die heutige Adresse im Dorf angegeben):

  • „Zum Adler“ (auch „Zur Post“, Mannheimer Straße 43)
  • „Zum Löwen“ bzw. „Zum Anker“ (Schulstraße 3)
  • „Café Berthold“ (Mannheimer Straße 29)
  • „Zum Einhorn“ (am Lindenplatz, Gasthaus wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert, bekannt auch als Tanz- und Kinosaal)
  • „Zur Harmonie“ (Arbeiterlokal in der Ringstraße 105)
  • „Zum Stern“ (Ecke Kirchen-, Ringstraße, auch Milchgeschäft)
  • „Zum Schwanen“ (Mannheimer Str. 19, eines der ältesten, bereits 1766 belegten Lokale in Otterstadt)
  • Keglerheim, Backstubb (Mannheimer Straße 3)
  • Waldgaststätte „Zum Treffpunkt“ (im Reffenthal, besteht bis heute, jetzt unter dem Namen „Alis Bistro“)
  • „Lidoheisel“, später „Zum Altrhein“ (Kollerstraße 11, besteht bis heute, jetzt unter dem Namen „Christians“)
  • „Zur Linde“ (Ecke Luitpold-, Querstraße, heute Hotel)
  • „Zur Sonne“ (Ecke Kirchen-, Ringstraße, besteht heute unter dem Namen „Vivere“ an anderem Ort – am Königsplatz, Speyerer Straße 22 – weiter)
  • „Zum Lamm“ (Speyerer Straße 35, zeitweise auch Theater-, Tanz- und Kinosaal, besteht bis heute)
  • Vereinslokal der „Tura Otterstadt“ (Speyerer Straße 71, besteht bis heute).

Heute sorgen immer noch fünf gastronomische Betriebe (s. o.) für das leibliche Wohl ihrer Besucher/innen.